Vollzugsempfehlungen und adaptive Antennen: eine Auslegeordnung
Die Umweltschutz-Auflagen für Mobilfunk – also z. B. Strahlungsgrenzwerte oder Bewertungsmethoden – sind in der Schweiz bedeutend strenger als in den meisten anderen Ländern, auch bei 5G. In der öffentlichen Diskussion werden aber häufig einzelne Punkte aus den komplexen Vollzugsempfehlungen oder Messmethoden herausgepickt und kritisiert. Behauptet wird beispielsweise eine versteckte Grenzwerterhöhung bei adaptiven Antennen. Wir klären auf, was es damit auf sich hat und beleuchten die Gründe für Missverständnisse.
Eine Umfrage der ETH hat kürzlich gezeigt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung die Schweizer Strahlungsgrenzwerte für Mobilfunk falsch einschätzt. Nur 5 % der Befragten gaben korrekt an, dass in der Schweiz viel strengere Grenzwerte gelten als in den meisten anderen Ländern. 5G ändert nichts an dieser Tatsache: Auch für die neue Mobilfunkgeneration gelten die gleichen strengen rechtlichen Vorgaben.
Missverstandenes technisches Dokument
Mobilfunk-Kritikerinnen und -Kritiker behaupten dennoch, es habe eine versteckte Grenzwert-Erhöhung für 5G-Antennen gegeben oder dass die Strahlung von 5G-Antennen gar nicht korrekt gemessen werden könne. Das ist falsch. In der Argumentation wird auf den «Nachtrag zur Vollzugsempfehlung zur Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung» des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) vom 23. Februar 2021 verwiesen. Ein technisches Fachpapier, geschrieben für Expertinnen und Experten, wird für polemische Meinungsmache in der breiten Bevölkerung verwendet. Kein Wunder, werden die Inhalte häufig falsch verstanden und fehlinterpretiert.
Hintergrund der Vollzugsempfehlungen des BAFU ist die veränderte Funktionsweise der neuen sogenannten adaptiven Antennen. Konventionelle Mobilfunkantennen (z. B. eingesetzt für 3G und 4G) decken einen ganzen Sektor auf konstante, statische Weise ab. Die Ausbreitungseigenschaften der Antenne sind unveränderlich, ähnlich wie das Saallicht in einem Theater, das immer den ganzen Raum erhellt. Man kann zwar auch dieses in der Helligkeit einstellen, wie sich auch bereits 3G- und 4G-Antennen an die Situation angepasst haben – aber eben in stets nur für den ganzen Raum. Mit 5G werden nun hauptsächlich adaptive Antennen eingesetzt. Diese können die Signalrichtung intelligent anpassen. Sie senden nur noch dorthin, wo Daten benötigt werden. Im Theater wäre das der Bühnenscheinwerfer, der das Licht nur dorthin bringt, wo es benötigt wird – zum einzelnen Darsteller. Zeitlich und örtlich veränderlich und stets nur in so grosser Helligkeit, wie es gerade erforderlich ist.
Potenzial von adaptiven Antennen kann nicht genutzt werden
Adaptive Antennen haben viele Vorteile. Sie können mit derselben Energie mehr Daten übertragen und vermeiden ungewollte Störungen. Nutzerinnen von Mobilgeräten profitieren von einer besseren und schnelleren Verbindung und Nicht-Nutzer werden weniger Strahlung ausgesetzt. Die neuen Sendeantennen bringen aber auch Herausforderungen mit sich: Die bisherigen Bewertungsmethoden sind für adaptive Antennen nicht ohne weiteres anwendbar und führen, im Vergleich zu konventionellen Antennen, zu einer unberechtigt strengeren Regulierung. Das Potenzial der modernen Sendeantennen kann dadurch nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft werden.
Mobilfunk-Sendeanlagen müssen auch bei maximaler Auslastung jederzeit und überall die Grenzwerte einhalten. Das ist bei konventionellen Antennen einfach zu berechnen, denn ihr Strahlungsprofil ist konstant. Bei adaptiven Antennen aber führt dieselbe Berechnungsmethodik zu einer massiven Überschätzung der tatsächlichen Strahlung. Dies, weil die Antenne nie zeitgleich in alle möglichen Richtungen senden kann, sie aber so beurteilt wird, als ob das möglich wäre.
Angepasste Bewertungsmethode notwendig
Die Folge: Adaptive Antennen werden im bisherigen Bewertungsrahmen gegenüber konventionellen Antennen benachteiligt und ihre Effizienz bleibt unberücksichtigt. Nach dieser Logik würde ein einziger Bühnenscheinwerfer im Theater reichen, um die gesamte Bühne jederzeit vollständig auszuleuchten – weil sie theoretisch jeden Winkel erreichen kann. Das ist in der Praxis jedoch unmöglich. Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Antennentypen ist eine Korrektur in der Bewertung von adaptiven Antennen nötig.
Dazu dient die Vollzugsempfehlung des BAFU: Den Fachspezialisten wird eine Anleitung gegeben, wie die Bewertung vorgenommen werden soll, damit sowohl die Einhaltung der Strahlenschutzgrenzwerte als auch die Gleichbehandlung verschiedener Antennentypen gewährleistet ist. Dank eines Korrekturfaktors werden adaptive Antennen nun nicht mehr gegenüber konventionellen Antennen benachteiligt.
Keine versteckte Grenzwert-Erhöhung
Keinen Einfluss haben die Vollzugsempfehlungen auf die Strahlungsgrenzwerte. Sowohl die Anlagengrenzwerte (wie stark eine Anlage höchstens senden darf) als auch die Immissionsgrenzwerte (gesamtheitliche Strahlung aller Sendequellen) bleiben unverändert. Neu ist einzig, dass die richtungsabhängige und zeitliche Dynamik von adaptiven Antennen mit einem Korrekturfaktor berücksichtigt wird.
Verglichen mit einer konventionellen Antenne kann eine adaptive Antenne so zwar kurzzeitig in eine bestimmte Richtung leicht stärker senden. Das wird aber umgehend mittels einer automatischen Leistungsregulierung über eine Zeitspanne von 6 Minuten mit geringerer Leistung kompensiert. So bleiben die Grenzwerte über 6 Minuten gemittelt jederzeit eingehalten. Die Strahlungsmenge nimmt dadurch nicht zu, im Gegenteil: im versorgten Bereich liegt die Strahlungsmenge durchschnittlich um bis zu Faktor 5 niedriger, wenn adaptive Antennen anstelle konventioneller Antennen zum Einsatz gelangen.
Grundlage für Baugesuche klar
Die Vollzugsempfehlungen des BAFU sind für die kantonalen Fachstellen (NIS-Fachstellen) wichtig, um eine einheitliche Prüfung von Baugesuchen hinsichtlich umweltrechtlicher Vorgaben gewährleisten zu können. Sie wurden durch das BAKOM umfassend auf ihre Praxistauglichkeit geprüft und stellen sicher, dass adaptive Antennen die Grenzwerte jederzeit und überall einhalten und damit bewilligt werden können. Die Nutzung des Korrekturfaktors erlaubt es, bisher verwendete und etablierte Verfahren weiterhin anzuwenden und adaptive Antennen korrekt zu beurteilen.
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