Zurück zu den Storys

Die Baustelle der Zukunft: digital und vernetzt

18. August 2022

Bauen ist Handarbeit. Doch die Digitalisierung dringt tiefer in die Baubranche vor: Auf der Baustelle der Zukunft arbeiten autonome Maschinen – das Internet of Things und 5G ebnen den Weg. Das kommt auch dem Klima zugute.

Mitten in der Nacht läuft «Spot» über die Gleisbaustelle. Während der kniehohe Vierbeinerproblemlos über das Schotterbett klettert, entgeht ihm kein Detail: Mit seinen Kameras und Laserscannern überwacht er die Arbeiten und sorgt damit für einen reibungslosen und sicheren Ablauf. Denn Spot ist nicht etwa ein Hund, sondern ein Roboter, der für die Rhomberg Sersa Rail Group auf einer Baustelle unterwegs ist, wie ein Video des Bahntechnikunternehmens zeigt. Sein Einsatz ist Teil eines Pilotprojekts, welches Rhomberg Sersa in Zusammenarbeit mit der Swisscom durchführt.

Irren ist menschlich
Das Ziel des gemeinsamen Projekts ist kein Geringeres, als die Baustelle der Zukunft zu schaffen. Denn auf Baustellen besteht ein grosses Optimierungspotenzial: Schienen schleifen, Menschenhand. Eine falsch aufgetragene Betonschicht, ein Fahrleitungsanker, der im Weg ist: Wo Menschen arbeiten, passieren zwangsläufig Fehler.

«Wenn wir Fehler verhindern können, setzen wir die Ressourcen genau dafür ein, wofür wir sie auch wirklich brauchen.»
Christian Schollenberger, Rhomberg Sersa

Christian Schollenberger, Leiter der IT bei Rhomberg Sersa, erklärt den Status Quo: Mit all diesen Fehlern seien auf einer Baustelle schnell zehn bis 15 Prozent Inneffizienz vorhanden. «Wenn wir nur ein paar Prozent dieser Ineffizienz verhindern können, sind das auf einer Grossbaustelle mit einem Kostenvolumen von hundert Millionen Franken schnell zwei bis drei Millionen.» Effizienz schont also das Portemonnaie des Unternehmers, aber letztendlich auch das Klima: «Wenn wir Fehler verhindern können, setzen wir die Ressourcen genau dafür ein, wofür wir sie auch wirklich brauchen», erklärt Schollenberger. Jeder Schritt, der nichtdoppelt gemacht werden muss, verringert den Ressourcenaufwand.


Vom Computer auf die Baustelle – und wieder zurück
Die Planung ist also einer der grossen Schwachpunkte der Bauindustrie – und das Schlüsselwort für mehr Effizienz lautet BIM, also Building Information Modelling. Darunter versteht die Bauindustrie die Modellierung des Ablaufs auf der Baustelle. Damit lässt sich jedes Detail vorab digital planen: Wie viele Lastwagenladungen eines Baustoffs werden wann gebraucht? In welcher Reihenfolge laufen die Bauschritte ab?

Hier kommt Spot ins Spiel: Der Roboterhund sei zwar vor allem ein gutes Aushängeschild, gesteht Schollenberger. Denn oftmals würde Spots Aufgabe von einem weniger publikumswirksamen stationären Laserscanner übernommen – der ist aber bereits ein wichtiges Werkzeug auf der digitalisierten Baustelle. Beim Bau eines Eisenbahntunnels beispielsweise erstellen die Ingenieure mithilfe von Laserscans vorab ein genaues dreidimensionales Bild. «Wenn wir den Tunnel im Rohbau übernehmen, planen wir mit dem 3D-Bild den Einbau von Fahrbahn und Fahrleitung», sagt Schollenberger.

Doch dank dem Internet of Things, mit dem die verschiedenen Baumaschinen und -geräteuntereinander kommunizieren, bleibt es nicht mehr nur bei der digitalen Planung: Jede Baustelle mit dem geplanten «Soll» abgeglichen werden. Müssen die Arbeitskräfte vom Plan abweichen, hilft der Computer bei der Suche nach der besten Alternative.


5G als Katalysator
Für die Digitalisierung der Baustellen stattete die Swisscom Rhomberg Sersa mit 5G-Technologie aus – dem Mobilfunknetz der neuesten Generation. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass das bereits sehr schnelle 4G-Netz dafür genügen würde. Doch die neue Technologie birgt zahlreiche Vorteile, die nicht auf den ersten Blick sichtbar werden.

Ein Bauwagen, der mit einem 5G-Hotspot ausgestattet ist, ermöglicht den Einsatz dort, wo kein anderes Netz vorhanden ist – beispielsweise in einem Tunnel im Rohbau. Und mehr noch: Im Gegensatz zu den Baumaschinen verfügt der Netzwagen über leistungsstarke Rechner, die die gesammelten Daten automatisch vor Ort auswerten können. Solche lokalen Netzwerkanwendungen wurden bei 5G im Gegensatz zu 4G bereits bei der Entwicklung der Technologie berücksichtigt. Die Datenverarbeitung vor Ort nennt sich «Edge Computing» und macht das Internet der Dinge noch effizienter. Die Latenz von 5G – die Zeit, die für die Signalübermittlung benötigt wird – ist bei 5G rund zehnmal niedriger als bei 4G. Im Zusammenspiel mit dem Edge Computing kann eine Baumaschine binnen weniger Millisekunden auf ein plötzliches Ereignis reagieren, oder eine Person gewarnt werden, die sich in eine Gefahrenzone begibt.

Klar ist: Die Digitalisierung der Baustelle ist selbst bei Branchen-Vorreiter Rhomberg Sersa noch lange nicht abgeschlossen. Bei Roboterhund Spot wie auch beim 5G-Hotspot im Tunnel handelt es sich um Vorarbeit, deren Potenzial heute noch nicht ausgeschöpft werden kann. Doch das Interesse wächst: «Immer mehr Firmen aus der Baubranche machen sich Gedanken», erzählt Matthias Jungen, «Internet of Things»-Entwickler bei Swisscom: «Wo kann ich Vorgänge automatisieren? Wie kann ich die Mitarbeitenden mit digitalen Hilfsmitteln unterstützen?». Grund dafür ist nicht nur die Effizienzsteigerung, sondern auch der Arbeitsmarkt, wie Christian Schollenberger weiss: «Leute zu finden, die in der Nacht und am Wochenende arbeiten, wird immer schwieriger. Wenn wir es schaffen, den Job durch Technologie attraktiv zu machen, hilft uns das auch bei der Stellenbesetzung.» Damit dürfte die Digitalisierung der Baustelle in der Branche weitere Kreise ziehen: Mit der Effizienzsteigerung und einer attraktiveren Arbeitssituation gibt es aus unternehmerischer Perspektive zwei gute Argumente für die digitale Baustelle. Dass nebenbei auch das Klima davon profitiert, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.


Autor: Jochen Tempelmann (Dieser Beitrag erschien erstmalig auf higgs.ch, 21.10.2021)
Bild zvg: 
Rhomberg Sersa Rail Group


Weitere Informationen:

Zurück zu den Storys

Ähnliche Beiträge

Alle Storys