Wer sich vor Mobilfunkantennen fürchtet, täuscht sich in der Ursache
Ein Interview mit Jürg Eberhard, ETH Zürich und Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM) / Quelle: asut-Bulletin, Ausgabe 03/2021
Über Jürg Eberhard
Dr. Jürg Eberhard forscht am Institut für Elektromagnetische Felder der ETH Zürich und ist Geschäftsleiter der Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation.
Angst vor gesundheitlichen Schäden. Bedenken, die Züge von Verschwörungstheorien aufweisen und eine Einspracheflut, die den Bau von Mobilfunkanlagen blockiert. In Teilen der Bevölkerung ist die Skepsis gegenüber 5G gross. Was sagt die Wissenschaft dazu? Ein Gespräch mit dem ETH-Forscher Jürg Eberhard über Mobilfunkstrahlung im Allgemeinen und 5G im Besonderen.
Interview von Christine D'Anna-Huber
Was weiss die Forschung über die Auswirkung von Mobilfunkstrahlen auf die Gesundheit?
Jürg Eberhard: Es gibt einen internationalen Konsens bezüglich der Grenzwerte, die einzuhalten sind, damit mit keinen gesundheitlichen Folgen zur rechnen ist. Auf diesen international etablierten Grenzwerten basiert auch der schweizerische Immissionsgrenzwert. Dazu kommt hierzulande der Anlagegrenzwert, der noch um einiges strenger ist.
Das bedeutet gleichzeitig aber, dass Mobilfunkstrahlung grundsätzlich schädlich sein kann?
Mobilfunkstrahlung ist elektromagnetische Strahlung. Das ist die gleiche Strahlung, mit der der Mikrowellenofen, allerdings mit viel höherer Sendeleistung, das Essen aufwärmt. Wie schon Paracelsus sagte: Die Dosis macht das Gift. Hochfrequente elektromagnetische Felder haben ganz klar eine Wirkung. Sie können in das menschliche Gewebe – die Haut oder auch einzelne Organe – eindringen und es erwärmen. Wird der Körper über einen längeren Zeitraum überhitzt, kann das gravierende Folgen auf die Gesundheit haben. Andererseits gibt es auch viele medizinische Anwendungen, die diese Strahlung auch gezielt nutzen. Und wie gesagt: Die strikten Grenzwerte sorgen im Fall der Mobilfunkstrahlung dafür, dass die Erwärmung auf ein unschädliches Mass begrenzt bleibt.
Wie sind diese Grenzwerte berechnet?
International geht man bei einer Körpererwärmung von mehr als 1 Grad von möglichen Schädigungen aus. Zum daraus abgeleiteten Grenzwert wurde ein Sicherheitsfaktor 50 dazu gerechnet. Das ist eine riesige Sicherheitsmarge – bei der Bewertung von Lärmimmissionen oder der Luftverschmutzung kann man von solchen Margen nur träumen. In der Schweiz kommt für Orte, wo sich Menschen längere Zeit aufhalten, ein zusätzlicher Faktor 10 dazu: Hier sind die Grenzwerte also noch 10-mal strenger. Das bedeutet, dass wir hier selbst an Standorten, wo die Grenzwerte beinahe erreicht werden, noch immer auf der sicheren Seite und weit davon entfernt sind, mit gesundheitlichen Folgen rechnen zu müssen.
Gilt das alles bei 5G immer noch?
Die Antwort ist einfach und lautet: Ja. In Bezug auf die Art und die Intensität der Strahlung gibt es keine relevanten Unterschiede zwischen 4G und 5G. 5G ist also weder anders, noch stärker. Im Gegenteil, bei 5G könnte die Strahlenbelastung insgesamt sogar kleiner werden, weil diese neue Mobilfunkgeneration effizienter ist und hier mit gleichem Ressourceneinsatz viel mehr Daten übertragen werden können. Das besagt zumindest die Theorie. Da noch nicht sehr viele 5G-Antennen und -Geräte im Einsatz sind, verfügen wir noch nicht über genügend Messdaten, um nachzuweisen, ob das wirklich auch der Fall ist. Gleichzeitig gibt es bisher keine Anhaltspunkte, um die bisherigen Grenzwerte zu ändern. Zu diesem Schluss kommt auch der Bericht der Internationalen Kommission zum Schutz vor Nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) nach Prüfung der bisher vorliegenden Studien.
Und was ist mit den adaptiven Antennen, wo sich die Strahlenwerte nutzungsabhängig ändern: Ist hier nicht denkbar, dass bei datenintensiven Anwendungen die Grenzwerte sogar überschritten werden?
Hier ist vorauszuschicken, dass adaptive Antennen an und für sich nichts mit 5G zu tun haben, sie kommen bei 5G aber vermehrt zur Anwendung. Wie Sie richtig gesagt haben, versorgen sie im Gegensatz zu konventionellen Antennen nicht den ganzen Bereich, auf den sie ausgerichtet sind. Während konventionelle Antennen also auch dorthin senden, wo niemand ein Handy hat, senden die adaptiven Antennen ihr Signal gezielt nur dorthin, wo es angefordert wird. Wer nicht telefoniert oder mit dem Internet verbunden ist, wird also praktisch keiner Strahlung ausgesetzt.
Die Immissionen sind aus einem weiteren Grund nicht zwingend stärker: Das Handy muss weitaus weniger strahlen, wenn mithilfe einer optimalen Versorgung eine sehr gute Verbindung aufgebaut werden kann. Das gilt bei 4G genauso wie bei 5G: Je besser die Verbindungsqualität ist – die Strichlein in der Anzeige am oberen Bildschirmrand – d.h. je näher Antenne und Handy beieinander sind und je weniger Hindernisse wie Gebäude oder Bäume sich dazwischen befinden, desto geringer ist die Sendeleistung, die das Handy aufbringen muss. Ist die Verbindung hingegen schlecht, nimmt die Strahlung vom eigenen Handy zu.
Wer mobil telefoniert oder das Internet nutzt, hat es also ein Stück weit selber in der Hand, einer wie grossen Strahlung er sich aussetzt?
Der grösste Teil der Strahlung, die wir abbekommen, kommt von unseren eigenen Smartphones, Laptops oder Tablets. Wir sprechen hier von einem Anteil von 80 Prozent oder noch mehr. Wer sich wegen der Antennenstrahlung Sorgen macht, täuscht sich also in der Ursache. Der entscheidende Faktor ist, wo und wie ich mein Handy benutze. Halte ich es ans Ohr, bekomme ich mehr Strahlen ab, als wenn ich Kopfhörer benutze.
Noch mal zurück zu den Grenzwerten: Kann die bisher für die konventionellen Antennen verwendete Beurteilungsmethode der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Strahlung von adaptiven Antennen überhaupt gerecht werden?
Das war tatsächlich ein Problem. Solange die adaptiven Antennen einfach wie konventionelle Antennen behandelt wurden, die in den ganzen Raum strahlen, konnten sie ihr volles Potenzial nicht nutzen. Die adaptiven Antennen wurden damit strenger beurteilt, was faktisch einer Grenzwertverschärfung entsprach. Nun haben das Bundesamt für Umwelt (BAFU) sowie das eidgenössische Institut für Metrologie (Metas) neue Vollzugsempfehlungen und Messmethoden entwickelt, die den speziellen Eigenschaften der adaptiven Antennen mit einem Korrekturfaktor Rechnung tragen.
Was bedeutet das konkret?
Für die Berechnung der Antennenleistung geht man immer davon aus, dass eine Antenne im ganzen Bereich den sie abdeckt, fortwährend mit Maximallast strahlt. Die von den Bundesämtern vorgegebenen Korrekturfaktoren tragen der Tatsache Rechnung, dass das bei adaptiven Antennen nicht der Fall ist. Dank dieser Vollzugshilfe erhalten die zuständigen Kantone die Instrumente, um die Sendeleistung von 5G-Antennen korrekt zu beurteilen.
5G-Gegner wittern hier allerdings eine «versteckte Grenzwerterhöhung» durch den Bund. Zurecht?
Im Gegenteil: Mit den alten Berechnungsmethoden wurden adaptive Antennen strenger beurteilt als konventionelle Antennen. Neu ist, dass der grossen räumlichen und zeitlichen Variabilität mit einem Mittelwert Rechnung getragen wird. Was zählt, ist der Durchschnittswert über sechs Minuten. Aber auch mit den neuen Berechnungsmethoden verbleibt ein ausreichender Sicherheitsabstand zu den Immissionsgrenzwerten.
Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht Argumente, die für 5G sprechen?
In Bezug auf die Strahlenbelastung ist 5G interessant. Die Physik ist dieselbe, aber die technischen Methoden sind intelligenter. Mit 5G können bei gleicher Strahlenbelastung mehr Daten übertragen werden. Und auch der Energieverbrauch ist geringer.
Sie haben es erwähnt: Die Grenzwerte sind in der Schweiz strenger als in vielen umliegenden Ländern. Was meinen Sie zur Idee, die Grenzwerte anzuheben, um das 5G-Netz schneller verfügbar zu machen?
Ich verstehe die Motivation, die dahintersteckt: In besiedelten Gebieten kommt man offenbar mit den bestehenden Antennen schon sehr nahe an die Grenzwerte. Um die Versorgung zu verbessern, müssten also zusätzliche Antennen gebaut werden. Das ist eine Kostenfrage. Gleichzeitig möchte niemand eine neue Antenne in der Nachbarschaft haben, obwohl fast alle ein Smartphone besitzen und nutzen. Das ist ein Widerspruch und in der Schweiz wohl eine politische Frage. Der Bundesrat will am vorsorglichen Schutz der Bevölkerung vor Strahlung nicht rütteln.
5G wird in der Schweiz zurzeit mit Frequenzen unterhalb 6 GHz eingeführt. Der 5G-Standard sieht auch einen höheren Frequenzbereich vor, den Millimeterwellenbereich, der in der Schweiz noch nicht zugelassen ist. Was wäre der Vorteil der Millimeterwellen?
Höhere Frequenzen erlauben es, mehr Daten zu übertragen. So gesehen sind sie spannend. Gleichzeitig gibt es grosse Einschränkungen: So haben diese sehr kurzen Wellen eine entsprechend kleine Reichweite. Und je höher die Frequenzen sind, desto stärker wird das Signal in der Luft oder durch Gebäude abgeschwächt. Das würde eine noch grössere Zahl von Antennen notwendig machen. Ob sich für höhere Frequenzen wirklich gute Anwendungen finden liessen, ist noch nicht ganz klar. Interessant ist dieser Bereich sicherlich an Orten mit hohem Nutzungsaufkommen und «Sichtkontakt» von den Geräten zur Antenne, z.B. in Stadien mit sehr vielen Zuschauern.
Im in der Schweiz zugelassenen Frequenzbereich unterscheidet sich 5G nicht wesentlich von 4G, sagen Sie. Gleichzeitig weisen Sie auch darauf hin, dass es in Sachen Strahlenbelastung weiterhin viele Unbekannte gibt.
Wie in vielen anderen Lebensbereichen bleibt auch im Umgang mit der Mobilfunkstrahlung stets ein Restrisiko. Auch Autofahren ist risikobehaftet und niemand kann ausschliessen, eines Tages einen Unfall zu bauen. Die Wissenschaft kann hier keine absolute Gewissheit geben, sondern nur den aktuell gültigen Stand des Wissens vermitteln. Alles andere wäre nicht ehrlich. Das ist allerdings nicht einfach zu kommunizieren, weil Skeptiker das Fehlen einer hundertprozentigen Sicherheit und das Verweisen auf die immer nötige Risikoabwägung sogleich mit Risikoverschleierung gleichsetzen. Dieses grundsätzliche Misstrauen kommt wohl auch daher, dass Mobilfunkstrahlung nicht wahrnehmbar ist: Es gibt sie, aber man sieht sie nicht, man hört sie nicht, man riecht sie nicht und man kann sie nicht berühren. Das kann verunsichern.
Auszug aus dem schweizerischen Krebsbericht 2021
Gemäss dem schweizerischen Krebsbericht 2021 gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern und Hirntumoren. Das trifft angesichts zahlreicher internationaler Studien auch für die Nutzung von Mobiltelefonen zu. (Bundesamt für Statistik (BFS), Schweizerischer Krebsbericht 2021, S. 98)
Weiterführende Informationen: