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«Die ersten Handynutzer wurden als Angeber belächelt»

29. August 2023

Der digitale Mobilfunk wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Jürg Studerus war über 20 Jahre lang Mobilfunk-Experte bei der Swisscom. Er erklärt, wie sich die Mobilfunktechnologie verändert hat, und was die nächsten Jahre bringen könnten. 

In der Schweiz wurde die zweite Mobilfunkgeneration (2G), auch bekannt als GSM (Global System for Mobile Communications)-Technologie, 1993 eingeführt und hat sich seither laufend verbessert. Mit ihr gelang der grosse Durchbruch des Mobilfunks, breite Bevölkerungsschichten begannen mit dessen Nutzung. Damals war die Technologie für Sprachtelefonie und den Austausch kleiner Datenmengen konzipiert – hin und wieder mal eine SMS, selten eine E-Mail. 

Heute ist der Mobilfunk erwachsen, 30 Jahre alt und in der fünften Generation (5G). Zurzeit sind laut dem Schweizerischen Verband der Telekommunikation asut 4.6 Millionen 5G-fähige Geräte in der Schweiz im Gebrauch. Viele Menschen bezahlen mit dem Handy via Twint, arbeiten unterwegs auf dem Laptop und können direkt auf Firmendaten zugreifen, streamen Filme oder kaufen online das neuste Sportgerät – dies erfolgt alles über Mobilfunk. Heute werden 200-mal mehr Daten übermittelt als noch vor 10 Jahren. 

Einer, der das Erwachsenwerden des Mobilfunks aus nächster Nähe mitverfolgt hat, ist Jürg Studerus. Nach über 20 Jahren bei Swisscom im Bereich «Mobilfunk und Umwelt», tritt er nun etwas kürzer und verfolgt als Frührentner eigene berufsnahe und berufsferne Projekte.


Interview mit Jürg Studerus
Ehemaliger Mobilfunk-Experte bei der Swisscom 



Hätten Sie vor 30 Jahren gedacht, dass der Mobilfunk unser Leben so prägen sollte?
Nein, natürlich nicht. Die ersten Handynutzer – es waren damals vor allem Männer – wurden ja eher als Angeber belächelt. Sie trugen ihr Handy oft in einer Gürteltasche zur Schau und parlierten laut herum. Man war sich auch nie so ganz sicher, ob dieser wichtige Anruf in der Öffentlichkeit nicht nur vorgetäuscht war.

Wie würden Sie kurz und knapp die Geschichte des Mobilfunks beschreiben? 
Mit einer Gegenfrage: Welches elektronische Gerät neben dem Handy hat jemals eine solche Verbreitung und intensive Nutzung erlebt? Die Erfolgsgeschichte des Handys ist beispiellos. Alle, die eins wollen, haben eins. Im globalen Süden ist das Handy oft das einzige Telekommunikationsmittel.

2G, 3G, 4G, 5G – wie würden sie die unterschiedlichen G’s beschreiben?
Es ist eine stetige Entwicklung hin zu besserer Effizienz. Mit einer bestimmten Menge an Energie können immer mehr Daten empfangen und gesendet werden. Oder sehen wir den Umwelt-Fussabdruck an: Pro übertragene Einheit an Daten erzeugt 5G 85% weniger CO2 als seine Vorgängerstandards. Daneben ist jedes «G» noch ein wenig sicherer als das vorhergehende und Fortschritte in der Hardware und Software führen zu kürzeren Reaktionszeiten – was zum Beispiel bei ferngesteuerten Objekten wichtig ist.

Beim Ausbau der derzeitigen Mobilfunkgeneration kommt es immer wieder zu Einsprachen, aktuell sind 3'200 Baugesuche hängig. Was ist da los?
Rund um Funktechniken herrscht in der Schweiz historisch eine starke Risikoperspektive. Es gelang Gruppen zudem, Mobilfunkantennen zu dämonisieren. So glauben Menschen teilweise, dass diese potenziell gefährlichen Elektrosmog abstrahlen würden. Eine solche Gefährlichkeit ist aber auch nach mehreren Tausend Studien und Jahrzehnten der Forschung überhaupt nicht belegt, geschweigen denn bewiesen und kausal erklärt. Dazu kommt, dass die Endgeräte wie Handys oder Tablets die Nutzenden bedeutend stärker bestrahlen. Es besteht ein Graben zwischen Emotion und Evidenz.

Woher kommt diese negative Haltung gegenüber 5G? 
Aufbauend auf der vorhin erwähnten Vorgeschichte. Eine latente Verunsicherung bis Angst wurde mitunter auch durch die forsche Werbung der Betreiber verstärkt. Es wurde einfach Technik und ihre Infrastruktur beworben, nicht deren Anwendungen und Nutzen. Auf diesen Zug sprangen dann auch noch Anhängerinnen und Anhänger von sehr spekulativen Welterklärungen auf und der Schaden war angerichtet.
Leider hat der Bund von Anfang an zu wenig über die Risiken und Chancen von 5G informiert, obwohl er die Einführung dieser Mobilfunkgeneration forciert hat.  

Gab es auch bei der Einführung der früheren Generationen Widerstände?
Jede neue Technologie wird von kritischen Geistern a priori als noch gefährlicher als die alte taxiert. Bei der Einführung von 3G gingen die Wogen auch hoch. Ein Trigger war eine Studie aus Holland von 2003. Diese hatte bei Probandinnen und Probanden, die gegenüber 3G-Signalen exponiert worden waren, negative Folgen auf das subjektive Wohlbefinden und kognitive Funktionen festgestellt. Einer identischen Folgestudie gelang es jedoch nicht diese Effekte zu reproduzieren. Einmal fand ich bei einer Internetrecherche ein Faktenblatt einer bekannten NGO contra 3G, dessen Text war weitgehend identisch mit einem Faktenblatt derselben NGO zu 5G. Suchen und Ersetzen ist ja eine Funktion von Word.

Aber dennoch, die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer brauchen das Internet auf täglicher Basis. Was/wie wäre die Schweiz ohne Mobilfunk? 
Da sind wir alle bestens kompetent eine Antwort zu geben, indem wir mal kurz rekapitulieren, wofür wir unser Smartphone jeden Tag nutzen. Ob das dann alles eine gescheite Mediennutzung ist, überlasse ich gerne jedem und jeder selbst.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Mobilfunks?
Technisch soll das Bessere weiterhin Feind des Guten sein und die Technik soll noch viel effizienter werden. Ihre Anwendungen sollen helfen, die grossen Herausforderungen der Menschheit zu meistern. In der Diskussion um Mobilfunk und Umwelt wünsche ich mir offene Visiere, weniger Bauchgefühl und mehr Sachlichkeit.

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