5G in der italienischen Schweiz: noch ein weiter Weg
Obwohl laut einer aktuellen Umfrage mehr als die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner der italienischen Schweiz die 5G-Technologie befürworten, gibt es im Tessin noch viel Widerstand, wenn es um die Erteilung von Bewilligungen für den Bau von 5G-Antennen geht. Diese Blockade kann bis zu fehlenden Mobilfunk führen, wie Beispiele zeigen. Marco Chiesa, Co-Präsident von CHANCE5G, ordnet die Lage in Tessin ein.
Laut einer Umfrage des Online-Vergleichsportals sprachen sich im Jahr 2020 nur 38 % der Einwohnerinnen und Einwohner der italienischen Schweiz für die Einführung der 5G-Technologie aus. Eine Zahl, die sich dank des technologischen Fortschritts, der positiven Auswirkungen auf die persönliche Nutzung (z. B. schnellerer Datenfluss auf dem Mobiltelefon) und der Verringerung des Energieverbrauchs erfreulicherweise auf 54 % im Jahr 2022 erhöht hat. Trotz der Tatsache, dass sich 5G recht schnell als sichere, moderne und zuverlässige Technologie etabliert hat, gibt es im Tessin häufig Widerstand seitens der Gemeinden oder der Bevölkerung. Sie stoppen dadurch wichtige Projekte zur Modernisierung der Mobilfunknetze, was Folgen für die Betreiberinnen, die diese Dienste anbieten, und ihre Nutzer haben.
Verzögerung bei kommunalen Antennenprojekten
Ein Beispiel ist die Gemeinde Ponte Capriasca mit ihren knapp 2'000 Einwohnerinnen und Einwohner, die in der Mitte des Tessins liegt. Nachdem 191 Unterschriften gegen die Errichtung einer 5G-Antennen bei den Gemeindeverwaltungen eingereicht worden waren, wurde zunächst beschlossen, die entsprechende und reguläre Baugenehmigung abzulehnen. Die Genehmigung wurde später von der höheren Instanz bestätigt, hat aber den Bau der Antenne stark verzögert.
Ein weiterer berühmter Fall, der die Aufmerksamkeit der lokalen Medien auf sich zog, fand in der Gemeinde Comano statt. Bereits vor zehn Jahren hatte die Gruppe «Cittadini Comano e Cureglia» mit 1’102 Unterschriften (die beiden Gemeinden haben zusammen etwa 3’600 Einwohner) den Abbau der 4G-Antenne über dem Dach der Radiotelevisione Svizzera di Lingua Italiana (RSI) gefordert, da sie ihrer Meinung nach zu stark und zu nah an der Bevölkerung ist. Im Rahmen eines Kompromisses mit der Bevölkerung hatte RSI beschlossen, den Mietvertrag für die Antenne zu kündigen, obwohl eine reguläre Baugenehmigung von den örtlichen Behörden erteilt worden war. Diese Entscheidung führte dazu, dass die Gemeinde und die Mobilfunkbetreiberin neue und langwierige Gespräche über einen möglichen neuen Standort für die Antenne führten, ohne jedoch rechtzeitig eine Lösung zu finden. Seit Februar 2024 können 60 Prozent der Kunden der Mobilfunkbetreiberin in dem Gebiet nicht mehr mit ihren Mobiltelefonen zu Hause telefonieren und können den Datenverkehr auf mobilen Geräten nicht mehr oder nur noch mit begrenzter Geschwindigkeit nutzen.
Tessiner Bevölkerung dafür – aber Positionierung von Antennen umstritten
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bevölkerung im Tessin 5G zwar zunehmend befürwortet, dass es aber Befürchtungen im Zusammenhang mit der optischen Positionierung der Antenne gibt, die die Bürgerinnen und Bürger beunruhigen. Dies sorgt für Diskussionen bei den öffentlichen Stellen und den Dacheigentümern und verlangsamen die Innovation und den Aufbau eines stabilen und schnellen 5G-Netzes in der Region. Eine Lösung zur Vermeidung dieser Probleme erscheint nach wie vor sehr schwierig. Nur der Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren, die Information über die Sicherheit und den Nutzen des 5G-Netzes und eine kluge Raumplanung können Missverständnisse und Konflikte in Zukunft entschärfen und so den Innovationsschub im Tessin und in der übrigen Schweiz fördern.
Interview mit Marco Chiesa
Tessiner Ständerat und Co-Präsident von CHANCE5G
Wie beurteilen Sie den Widerstand in mehreren Tessiner Gemeinden gegen die Einführung der 5G-Technologie, wenn man bedenkt, dass die Unterstützung auf nationaler Ebene zunimmt?
Marco Chiesa: Es ist sicherlich positiv, dass sich laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung in der italienischen Schweiz für 5G ausspricht. Die von CHANCE5G südlich der Alpen geleistete Sensibilisierungs- und Informationsarbeit zeigt Wirkung. Es ist jedoch klar, dass es in einigen Tessiner Gemeinden nach wie vor Widerstände gibt, die sich oft in Petitionen, Einsprüchen, Beschwerden und negativen Entscheidungen der lokalen Behörden äussern. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, die Sorgen der Bevölkerung zu verstehen und daran zu arbeiten, sie durch einen offenen und informierten Dialog zu lösen.
Wie ordnen Sie den Widerstand der Bevölkerung bzw. deren Einfluss auf Entscheide der Kommunalverwaltungen bezüglich Positionierung der Antennen ein?
Die Positionierung von Antennen ist in der Tat eine der grössten Herausforderungen im Mobilfunk. CHANCE5G will hier einen konstruktiven Dialog fördern, Informationen über die Vorteile der 5G-Technologie bereitstellen und aufzeigen, warum Antennen möglichst zentral platziert werden sollten. Nur so wird ein möglichst guter Empfang im hügeligen Tessin sichergestellt und auch die Strahlungsexposition reduziert. Umso besser der Empfang, umso weniger strahlt das eigene Handy, das 90% der individuellen Strahlenbelastung verursacht.
Inwieweit ist 5G für die Wirtschaft und die Gesellschaft in der italienischen Schweiz entscheidend?
Unsere Region, die sich durch eine starke ländliche Prägung und Sektoren wie Handwerk, Industrie und Dienstleistungen auszeichnet, ist stark von der 5G-Technologie abhängig, um die Digitalisierung in Produktionsprozessen und bei der Erbringung von Dienstleistungen umzusetzen. Insbesondere das Tessin, das durch die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels näher an Zürich herangerückt ist, stellt hohe Anforderungen an die Mobilität und Kommunikation. Um integrierte Mobilitätskonzepte zu realisieren und ein angenehmes Reisen mit dem öffentlichen Verkehr zu gewährleisten, sind grosse Bandbreiten unerlässlich. Dies erleichtert nicht nur die Möglichkeit, auf dem Heimweg zu arbeiten, sondern trägt auch zu einem positiven Erlebnis für die Besucherinnen und Besucher unserer Region bei. Schlussendlich spielt eine moderne und attraktive Infrastruktur eine wichtige Rolle bei der Ansiedlung neuer Unternehmen und der Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildungsmöglichkeiten.